Ein typisches Analytiklabor irgendwo in Deutschland: Reagenzgläser und Gefäße mit unterschiedlichen Flüssigkeiten werden von einem Schwarm an Laboranten bearbeitet. Es wird gewogen, pipettiert, geschüttelt, filtriert und analysiert. Alles manuell.
Eine Fabrik irgendwo in Deutschland: Bleche, die aussehen, als wollten sie ein Auto sein, bewegen sich auf einem Förderband voran. Von rechts und links kommen Roboterarme und schrauben, lackieren, schweißen – bis am Ende ein fertiges Auto das Band verlässt. Alles läuft voll automatisch.
Der Unterschied könnte größer nicht sein. Während viele Industriezweige von einem sehr hohen Automatisierungsgrad geprägt sind und man hier mittlerweile Vollautomation erreicht,
hinken Labore der Life Sciences hier stark hinterher. Auch wenn mittlerweile Pipettierer, Vortexer usw. die Arbeit erleichtern, bleibt doch ein hoher Anteil manueller Tätigkeiten. Vor
allem der Transport zwischen verschiedenen Bearbeitungsstationen erfordert immer noch den Einsatz des Menschen.
Gibt es auch eine Möglichkeit der Vollautomation für Analytiklabore? Lassen sich die bekannten Strategien aus der industriellen Automation einfach anwenden? Oder müssen auf dem Weg
zum vollautomatisierten Labor neue Konzepte entwickelt werden? Diesen Fragestellungen haben sich die Wissenschaftler des Centers for Life Science Automation der Universität Rostock
vor sechs Jahren gewidmet und das Future Lab – das Labor der Zukunft – entwickelt.
Industrieautomation vs. Life Science Automation
Welche Gründe bestehen für den immer noch geringen Automationsgrad in klassischen Analytiklaboren gegenüber der klassischen industriellen Automation? Auch im Labor steigt die Anzahl
der zu bearbeitenden Proben, sodass Automation einen wesentlichen Beitrag zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung leisten könnte. Schaut man genauer auf analytische Prozesse
inklusive der erforderlichen Probenvorbereitung, so stellt man schnell fest, dass die Prozesse sehr divers sind, sowohl im Hinblick auf die Abläufe als auch die verwendete Labware,
und im Unterschied zur klassischen Industrieautomation nicht Millionenmal in identischer Weise ablaufen. Analytiklabore stehen vielmehr vor der Aufgabe, unterschiedlichste Prozesse
flexibel abarbeiten zu können. Dies erhöht die Anforderungen an das zu entwickelnde Automationssystem erheblich.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass unterschiedliche Teilprozesse auch räumlich getrennt ablaufen müssen. So erfordern z.B. Analysenmessgeräte Räume mit konstanten Temperaturen
und hochreiner Luft, was eine Probenvorbereitung im identischen Raum daher i.d.R. ausschließt (wenn im Ultraspurenbereich gearbeitet werden soll). Einige Teilprozesse, wie
Mikrowellenaufschlüsse, müssen schon aus Gründen des Arbeitsschutzes unter dem Abzug durchgeführt werden. Kommen noch biologische Untersuchungen hinzu, sind weitere Voraussetzungen
wie Luftfeuchtigkeit etc. zu gewährleisten. Eine einfache Übernahme des Konzeptes der Industrieautomation, wo der Transport der Proben zwischen einzelnen Stationen über Förderbänder
in einem Raum erfolgt, ist damit nicht möglich. Dies ist häufig auch deshalb nicht möglich, weil Automationsanlagen in bestehenden Räumlichkeiten untergebracht werden müssen und große
Hallen nicht zur Verfügung stehen.
Konzept für das vollautomatische Labor
Zur Erreichung eines hohen Automationsgrades in analytischen Laboren wurde am Center for Life Science Automation das Future-Lab-Konzept entwickelt. Es geht von einem System verteilter Bearbeitungsstationen an räumlich getrennten Orten aus. Damit können für alle Teilprozesse die optimalen Bedingungen eingehalten werden; darüber hinaus ist eine Automation in den vorhandenen Räumlichkeiten möglich. Für die Probenvorbereitung werden roboterbasierte Systeme eingesetzt, die eine Prozessierung (Verdünnen, Derivatisieren, Abwägen etc.) unterschiedlicher Proben in unterschiedlichen Gefäßen ermöglichen. Um hierbei möglichst gängige Verfahren aus dem Bereich der Bioautomation nutzen zu können, erfolgt die Bündelung der Proben in Racks im Mikrotiterplattenformat.
Den Transport der Proben zwischen den Teilstationen Probenvorbereitung, Mikrowellenaufschluss, Analytik und ggf. Biotestung übernehmen mobile Roboter. Sie erhalten die Transportaufträge von einem übergeordneten Workflowmanagementsystem, das die laufenden Gesamtprozesse überwacht.
Mobile Roboter finden ihren Weg
Der Einsatz mobiler Roboter im Analytiklabor bringt einige Herausforderungen mit sich. Zum einen müssen die Roboter in der Lage sein, autonom ihre Position bestimmen sowie ihren Weg finden zu können. Hierzu können unterschiedliche Technologien eingesetzt werden. Die wohl beste, aber gleichzeitig auch aufwändigste Variante ist die kamerabasierte Erkennung der Umgebung.
Eine einfache Variante sind farblich markierte oder induktionsbasierte Pfade, die auf dem Boden angebracht sind. Die Roboter können dann einem vorgegebenen Pfad folgen. Erfolgen allerdings Änderungen in der Laborumgebung, sind die Pfade nicht mehr nutzbar und müssen mit einigem Aufwand neu verlegt und programmiert werden. Eine Möglichkeit, die hohe Flexibilität und Erweiterbarkeit mit geringen Kosten verbindet, ist der Einsatz von Landmarken, die an den Decken installiert werden. Die Landmarken sind aus IR-reflektierenden Materialien und ermöglichen eine Kodierung einer großen Anzahl von Wegpunkten. Zum Einsatz kommt hier ein Stargazer-System, das das Auslesen der Positionen ermöglicht. Zur Verringerung des Lichteinflusses, der zu falschen Werten führen kann, werden Kalman-Filter eingesetzt. Alle über Landmarken kodierten Positionen sind in einem Map hinterlegt, sodass auf Basis der vorgegebenen Anfangs- und Endpunkte die Wege für den Roboter berechnet und über einen permanenten Abgleich der Soll- mit den aktuellen Ist-Positionen der korrekte Pfad überwacht werden kann.
Sind in den erforderlichen Wegen Hindernisse wie Türen enthalten, so wird über geeignete Sensorik zunächst deren Zustand (offen/geschlossen) erfasst. Es erfolgt dann ein Signal an die Türsteuerung, die ein Öffnen der Tür ermöglicht. Um mögliche Kollisionen mit Türen zu vermeiden, erfolgt das Durchfahren erst, wenn die Sensoren des mobilen Roboters eine offene Tür anzeigen.
Die räumliche Verteilung der Teilstationen erfordert u.U. auch den Wechsel von Stockwerken. In diesem Fall ruft der Roboter analog zum Menschen manuell den Fahrstuhl, befährt diesen bei geöffneter Tür, wählt das entsprechende Stockwerk aus und verlässt den Fahrstuhl auf dem Zielstockwerk. Die Erkennung des Zielstockwerkes kann visuell über das Auslesen von Stockwerksnummer erfolgen. Alternativ kann über geeignete Sensoren die Höhe (über die Messung des Atmosphärendrucks) und damit die Stockwerksnummer bestimmt werden. In letzterem Fall sind interne Kalibrierungen zur Anpassung an den schwankenden Atmosphärendruck erforderlich.
Greifen und Ablegen von Labware
Damit die mobilen Roboter Proben und Labware transportieren können, muss diese für sie verfügbar sein. Prinzipiell bestehen zwei Möglichkeiten: entweder platzieren die stationären Teilsysteme die Proben/Labware auf dem Roboter und greifen sie auch von dort wieder oder die mobilen Roboter sind selbständig in der Lage, die Proben/Labware zu erkennen und zu greifen. Was für die menschliche Hand sehr einfach erscheint, stellt eine sehr komplexe Aufgabe für den Roboter dar. An der Übergabeposition angekommen, muss der Roboter zunächst die zu greifende Labware erkennen. Im einfachsten Fall erfolgt dies über die genaue Definition der Übergabeposition; im flexibleren Fall erkennt der Roboter kamerabasiert, wo sich die zu greifende Probe/Labware befindet. Neben dem Erkennen ist dabei auch eine genaue Positionsbestimmung erforderlich. Basierend auf den Koordinaten der Labware sowie des mobilen Roboters erfolgt dann die Bewegung des Roboterarms zum zu greifenden Objekt. Hierfür ist eine genaue Kenntnis der Kinematik des Roboterarms und softwaretechnische Umsetzung zur Realisierung der Armbewegungen erforderlich. In identischer Weise erfolgt die Ablage der Proben/Labware an den Zielpositionen.
Mobile Roboter als Laborkollegen
Die mobilen Roboter arbeiten in unmittelbarer Umgebung mit dem Laborpersonal. Dies erfordert u.a. Konzepte zur Interaktion zwischen Roboter und Mensch sowie zur aktiven und passiven Kollisionsvermeidung.
Nähert sich ein Mensch auf dem Weg des Roboters, so wird er durch den mobilen Roboter zur Interaktion aufgefordert. Diese kann sowohl gestenbasiert als auch über Bewegungen des Kopfes erfolgen. Im ersten Fall signalisiert der Mensch durch Heben des rechten Armes, dass er als Master dem Roboter weitere Befehle geben möchte. Durch unterschiedliche Armhaltungen können die Befehle „vorwärts“, „rückwärts“, „links“ und „rechts“ gegeben werden, die der Roboter übernimmt und den nunmehr neuen Weg berechnet. Eine identische Steuerung ist auch über Kopfbewegungen möglich. Auch der Einsatz einer sprachbasierten Steuerung ist in der Entwicklung; besondere Herausforderungen bilden hier allerdings die starken Umgebungsgeräusche in Analytiklaboren.
Erfolgt keine Interaktion zwischen Mensch und Roboter, erfasst der Roboter automatisch den zur Verfügung stehenden Platz zum Umfahren des Menschen und berechnet anschließend den kürzesten Weg zur Vermeidung einer Kollision sowie zur Rückkehr zum ursprünglichen Weg. Steht kein ausreichender Platz zur Verfügung, zieht sich der Roboter auf eine sichere Position zurück und setzt seinen Weg fort, nachdem der Mensch den Bereich verlassen hat.
Das Labor der Zukunft wird Realität
Mit dem Future-Lab-Konzept kann der Traum vom vollautomatisierten Analytiklabor Wirklichkeit werden. Das Konzept passt sich an die Gegebenheiten und Anforderungen bestehender Labore an. Die Automation verfolgt dabei in erster Linie das Ziel der Übernahme von Transportarbeiten durch die mobilen Roboter sowie eine Ausweitung der Betriebszeiten durch einen möglichen 24/7-Betrieb. Damit werden erhebliche Durchsatzsteigerungen und Kostensenkungen möglich.
LABORPRAXIS 3/2017 14.3.2017
Autor / Redakteur: Prof. Dr. Kerstin Thurow / Dr. Ilka Ottleben